Wie die Kraft der Emotionen uns bewegt

Jemand beleidigt uns, jemand nimmt uns den Vortritt oder fragt nicht, wer das letzte Stück Kuchen möchte, sondern isst es einfach. All diese Dinge können unser Herz bewegen und die Gedanken zu galoppierenden Pferden werden lassen. Emotionen sind der Wind, der unsere Segel bewegt. Diese Geschichte handelt von den sogenannten „Acht Winden“.

Es gibt viele interessante Geschichten über Su Dongpo und seinen guten Freund, den Zen-Buddhisten Meister Foyin. Su Dongpo war ein ernsthafter und selbstdisziplinierter Kultivierender.
Eines Tages verfasste er folgende Zeilen:

Ich neige mein Haupt vor dem Himmel der Himmel,
haarfeine Strahlen erleuchten das Universum
die acht Winde können mich nicht bewegen,
wenn ich still auf dem purpurgoldenen Lotos sitze.

Lob, Lächerlichkeit, Ehre, Schande, Gewinn, Verlust, Vergnügen und Kummer – dies sind die acht Winde, die Gedanken und Emotionen, welche die Menschen antreiben und beeinflussen. Su Dongpo wollte mit seinem Gedicht ausdrücken, dass er eine höhere Bewusstseinsebene erreicht hatte und dass ihn diese Kräfte nicht mehr berühren konnten. Er war so von sich selbst beeindruckt, dass er einen Diener aussandte, um sein Gedicht dem Mönch Foyin zu überbringen. Er war sich sicher, dass sein Freund genauso beeindruckt sein würde, wie er selbst.

Als Foyin das Gedicht las, schrieb er als Antwort auf das Manuskript: „Furz“ und gab es dem Diener zurück. Dieser war entsetzt, als er gelesen hatte, was der Zen-Meister ihm geschrieben hatte. Er fuhr aus der Haut: „Wie kann er mich derart beleidigen? Dieser lausige alte Mönch! Er muss mir eine Erklärung geben!“ Voller Empörung befahl er ein Fährboot heran, um sich so schnell wie möglich ans andere Ufer bringen zu lassen. Kaum angekommen sprang er herab und stürmte zum Tempel. Er wollte Foyin finden und zur Rede stellen. Dieser sollte sich bei ihm entschuldigen.

Doch Foyins Tür war verschlossen. An der Tür befand sich ein Stück Papier mit den folgenden zwei Zeilen:

Die acht Winde können mich nicht bewegen,
Ein Furz blies mich quer über den Fluss.

Sofort kam Su Dongpo wieder zur Besinnung. Foyin hatte seinen hitzköpfigen Besuch vorausgesehen. Sein Ärger verschwand sofort, als er begriff, was sein Freund ihm sagen wollte. Wenn er wirklich ein Mann von so hoher geistiger Ebene wäre, unberührt von den acht Winden, wie konnte er sich dann so leicht provozieren lassen?

Beschämt – aber klüger – ging Su Dongpo schweigend fort. Wir werden nie erfahren, welche Ebene Su Dongpo schließlich in seiner Kultivierung erreichen konnte. Aber wir können uns vorstellen, dass er nach dieser Episode in der Kultivierung weiter vorankam und dass er seine Herzensnatur (Xinxing) verbessern konnte.

Aus dem Zhuan Falun Lektion 4, Kapitel Die Xingxing erhöhen, Seite 199-201:
„Wenn du dich kultivieren willst, musst du dich eben in diesen Schwierigkeiten kultivieren, um zu sehen, ob du all deine Emotionen und Begierden loslassen und leicht nehmen kannst. (…) Alles hat seinen schicksalsbedingten Zusammenhang. Warum kann ein Mensch Mensch sein? Eben weil es unter den Menschen Qing (Gefühle und Emotionen) gibt. Die Menschen leben für Qing… (…) – in der gesamten menschlichen Gesellschaft entspringt alles Qing. Wenn du dich von Qing nicht trennst, kannst du dich nicht kultivieren. Wenn du aus Qing herausspringst, wird dich niemand mehr bewegen können. Die menschlichen Gesinnungen können dich dann nicht mehr mitreissen; stattdessen wirst du mit Barmherzigkeit erfüllt, etwas noch Erhabeneres. Natürlich ist es nicht einfach, sich auf einmal von Qing zu trennen. Kultivierung ist ein langwieriger Prozess, ein Prozess in dem man seine Anhaftungen nach und nach beseitigt.“

Glossar:
Xingxing: Wesen des Herzens, Qualität des Herzens.
Qing: Eine Substanz die Gefühle und emotionale Reaktionen hervorruft.

Zur Person Su Dongpo (Su Shi, 1036-1101 n. Chr.)
Er wurde in eine Familie von Prosa-Meistern geboren. Die Familie Su gehörte zum Kreise der Gelehrtenfamilien. 1057 bestand er das Jinshi-Examen. Seine Karriere als Beamte war wechselvoll. Einerseits durch sich verändernde Machtverhältnisse am Hofe, andererseits in seinem eigenen Verhalten begründet. Su Dongpo zeigte sich unzufrieden mit den politischen und sozialen Zuständen seiner Zeit. Er zögerte nicht, in seiner Dichtung die Missstände aufzugreifen. Dafür büßte er im Sommer 1079 sogar mit Gefängnis. Danach wurde er nach Huangzhou verbannt, wo er von 1080 bis 1084 lebte. Fern der Hauptstadt verkehrte er mit Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Dies fand Niederschlag in seinen Gedichten. 1085 kehrte er in die Hauptstadt zurück und kam zu hohem Ansehen und hohen Ämtern. Rastlos war er Tätig zum Wohle der Bevölkerung. 1094 wurde er erneut verbannt, zuerst nach Guangdong, dann sogar auf eine entlegene Insel. Erst ein Jahr vor seinem Tode durfte er zurückkehren. Themen wie Trennung und Vergänglichkeit nehmen daher einen breiteren Raum in seinen Werken ein. Mit Huang Tingjian, Mi Fu und Cai Xiang zählt er zur Gruppe der „Vier großen Kalligrafen der Song“.

Quellen: Yuanming.net und Das Bild von Su Dongpo ist zu finden auf: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Su_shi.jpg

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