Tao Yuanming: „Für fünf Scheffel Reis am Tag mache ich meinen Buckel nicht krumm.“

Im alten China war ein Dichter üblicherweise ein Beamte. Wer die Beamtenprüfung bestehen wollte, musste die konfuzianischen Lehren beherrschen und dichten können. Darum enthalten die Werke vieler Poeten Anspielungen auf konfuzianische oder taoistische Klassiker.

Tao Yuanming wird 365 n. Chr. in Chaisang im heutigen Jiujiang in der Provinz Jiangxi geboren. Mit den Worten „Verwirrung, Wiedervereinigung und das goldene Zeitalter“, kann die Zeit beschrieben werden in der Tao Yuanming lebt.
Die alte Ordnung, d.h. der Konfuzianismus als bindende Sozialethik der Führungsschicht zerfällt zusehens. Die Religion des Daoismus und der von Indien eingeführte Buddhismus bringen neue Impulse in die Gesellschaft ein. Der unaufhörliche Machtkampf zwischen den grossen Adelssippen ist ursächlich für welchselnde Herrschaftsverhältnisse und chaotische politische Zustände. Hungersnöte und Unruhen bewirken einen Exodus der nordchinesischen Bevölkerung in die südlichen Provinzen.
All dies beeinflusst auch das Leben Tao Yuanmings. Einerseits ist er ein klassisch gebildeter Beamter, der gerne einem ehrbaren Verantwortlichen dienen würde. Andererseits hat er eine freiheitsliebende Natur, die sich zu nichts zwingen lassen will. So arbeitet er als Beamter oft unwillig. Mehrfach sieht er sich veranlasst, seine gehobene und abgesicherte Stellung einzutauschen gegen ein unabhängiges Leben als Bauer und Selbstversorger.

„Von Natur aus fühle ich mich ungebunden und will mich zu nichts zwingen lassen. Hunger und Durst mögen noch so schlimm sein, doch gegen meine Natur anzugehen macht mich krank. Wann immer ich im Dienste stehe, habe ich mich zum Sklaven meines Mundes und Bauches gemacht. Darüber bin ich zu tiefst betrübt. Ich schäme mich meine Ideale so verleugnet zu haben.“ – Tao Yuanming

Tao Yuanming lebt in einem Spannungsfeld zwischen seiner Arbeit als dienender Beamter für Generäle, Magistraten oder Provinz-Gouverneure und der freiheitsliebenden Natur seines Charakters. Seine Lieblingsblume ist die Chrysantheme und das Wichtigste für ihn ist das Weintrinken mit Freunden. Er verliert seine erste Frau als Dreissigjähriger und hat insgesamt fünf Söhne. Immer wenn Armut und Hunger ihn dazu zwingen, stellt er sich wieder in den administrativen Dienst. Doch schon nach kurzer Zeit ist er seiner jeweiligen Aufgabe überdrüssig. Den endgültigen Abschied aus dem Amt schildert eine Anekdote von Xiao Tong:

Gegen Ende des Jahres geschieht es, dass ein von der Kommandantur geschickter Beauftragter die Kreisstadt besucht. Die Beamten bitten Tao, seinen Gürtel anzulegen und den Beauftragten zu empfangen. Dieser seufzt und sagt: „Soll ich etwa für fünf Scheffel Reis vor einem Dorfdeppen den Buckel krumm machen?“ Am selben Tag löst er das Band des Amtssiegels und nimmt seinen Abschied.

Bis zu seinem Tod im Jahre 427 n. Chr. bleibt er seinem Entscheid treu und kehrt nicht wieder in seinen ehemaligen Berufsstand zurück. Das Leben auf dem Lande ist zwar abgeschieden, doch mangelt es nicht an Geselligkeit. Er hält weiterhin Kontakte zu höheren Beamten aus der Stadt und schätzt den Besuch von Freunden, die zum Weintrinken vorbeikommen.

Tao Yuanmings Gedichte sind bis heute so beliebt, weil sie in ungekünstelter Sprache verfasst wurden und auf ihre Art sehr persönlich sind. Obwohl er über sein Nöte und Schicksalsschläge spricht, tut es dies nicht ohne einem gewissen Mass an Selbstironie. Mit seiner Liebe zum Leben und dem Festhalten an seinen Überzeugungen, hat Tao Yuanming uns vorgemacht, wie man allen Widrigkeiten trotzt.

Auszug aus dem Pfirsichblütenquell, Strophen 7-9

Wie wunderbar farbig, die Chrysanthemen im Herbst!
Ich pflücke ihre taufeuchten Blüten.
Getaucht in den Wein, der die Sorgen vertreibt,
Lassen sie mich die Welt vergessen.
Den Becher leere ich allein und schenke immer wieder nach.
Alles ruht nach Sonnenuntergang,
Die heimkehrenden Vögel nähern sich rufend den Wäldern.
Vergnügt pfeife ich am Fenster im Osten – Hier kann ich mich des Lebens freuen!

Eine grüne Kiefer steht im östlichen Garten,
Ihre Schönheit verhüllt von dichtem Gestrüpp.
Wenn eisiger Frost andere Pflanzen verdirbt, ragen ihre hohen Äste hervor.
In dichtem Wald wächst sie unbemerkt,
Doch als einzelner Baum bewundert sie jeder.
Den Weinkrug hebend lehne ich am winterkalten Stamm und blicke in die Ferne, immer aufs neue.
Mein Leben ist wie ein flüchtiger Traum – Was soll ich mich an weltliche Dinge binden?

In aller Frühe hörte ich ein Klopfen am Tor.
Das Hemd verdreht am Leib, eilte ich zu öffnen und fragte: „Wer ist da?“
Ein Bauer war‘s, voll guter Absichten.
Er brachte einen Weinkrug mit und meinte, ich sei mit der Welt im Streit:
„Dies lumpige Gewand, die grasgedeckte Hütte geziemen deiner hohen Stellung nicht!
In dem was zählt, ist die Welt sich einig – Ich wünschte, auch du stürztest dich in ihren Schlamm!“
„Hab Dank für deine aufrichtigen Worte, doch meinem Wesen entspricht dies nicht.
Die Zügel zu ergreifen, lässt sich leicht erlernen, doch mich selbst zu verleugnen, wäre der falsche Weg.
Lass uns gemeinsam diesen Becher leeren – Mein Wagen wird nicht umgelenkt!“

Quellen: Tao Yuanming, der Pfirsichblütenquell, Herausgeber Karl-Heinz Pohl, Europäischer Universitätsverlag 2010, Seiten 13-30 und 127. Bild: „Returning Home“ from the hand scroll Scenes from the Life of Tao Yuanming by Chen Hongshou, Qing Dynasty, dated 1650, ink and color on silk, Honolulu Museum of Art.

Chrysanthemen waren die Lieblingsblumen des Dichters Tao Yuanming (陶淵明, 365-427 n. Chr.)
Die Chrysantheme blüht in der kalten Herbstluft und kündigt das Kommen des Winters an. Der Winter symbolisiert die Tugend, trotz Widrigkeiten zu bestehen.


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