Die Kultivierungsgeschichte von Buddha Milarepa – Teil XII

Der ehrwürdige Meister schien krank zu sein. Der Himmel war erfüllt von verheißungsvollen Zeichen durch Regenbögen und Blumen, die wie Regen herabfielen, wie wenn das Dharma gelehrt wird. Ein jeder wusste nun, dass der Ehrwürdige tatsächlich in eine andere Welt gehen würde. Schüler wie Repa Zhiwa O, Ngandzong Repa, und Seban Repa fragten den Ehrwürdigen: „Meister, in welches reine Land werdet Ihr nach Eurem Nirwana gehen? Wohin sollen wir Jünger unsere Gebete richten?“

Der Ehrwürdige sagte: „Es ist dasselbe, ganz gleich, wohin ihr eure Gebete richtet. Solange ihr glaubt und aufrichtig betet, werde ich auf jeden Fall bei euch sein. Ich werde euch auf jeden Fall das erfüllen, wofür ihr betet.

Dieses Mal werde ich Buddha Akshobhya im westlichen Reinen Land von Abhirati treffen. Ich habe bereits erwähnt, dass ich euch noch mehr sagen möchte; und zwar meinen letzten Willen und mein Testament. Nachdem ich, Milarepa, gestoben bin, werde ich, abgesehen von ein paar Dingen des täglichen Bedarfs, keine Besitztümer hinterlassen. Ihr könnt meine Baumwollkleidung und meinen Gehstock Rechungpa geben. Er wird schon sehr bald zurück sein. Bitte sagt ihm, diese zwei Dinge stehen mit dem Bedingten Entstehen unserer Praxis in Verbindung. Bevor Rechungpa ankommt, dürft ihr auf keinen Fall meinen Körper bewegen.

Mit scharfem Blick und guter Beobachtung für die Verbreitung des Dharma können Meister Maitripas Hut und der Adlerholz-Stock an Upa Tonpa gehen. Zhiwa O, bitte nimm diese Holzschale. Ngandzong, bitte nimm diesen Schädelbecher. Der Feuerstein ist für Seban Repa, und der Knochenlöffel ist für Drigom Repa. Diese Stoffmatte kann für andere Jünger in Stücke geschnitten werden, für jeden ein Stück. Jene Utensilien haben keinen Geldwert. Ich gebe sie euch hauptsächlich, um Bedingtes Entstehen zu zeigen.

Der wichtigste Teil meines letzten Willens und meines Testaments, das Gold, das ich, Milarepa, über viele Jahre angesammelt habe, all das bewahre ich unter dieser Feuerstelle auf. Wenn ich gestorben bin, werden sich viele unwissende Jünger über das Arrangement meiner Bestattung streiten. Zu diesem Zeitpunkt könnt ihr mein Testament öffnen und nachsehen. Dort sind noch mehr Anweisungen für eure Praxis enthalten.

Einige Menschen, die das Dharma lernen, sind nicht sehr aussichtsreich. Um Ruhm und Respekt zu erlangen, halten sie hier ein paar buddhistische Zeremonien ab oder tun dort etwas Gutes für Vorteile. In Wirklichkeit gibt er Hundert und hofft, dafür Tausend zu erhalten. Wenn diese weltlichen Menschen buddhistische Zeremonien nach Vorteilen strebend abhalten, ist es, wie Gift in köstliche Speisen zu mischen und sie zu essen. Zeit eures Lebens sollt ihr nicht das Gift der Ruhmsucht trinken. Ihr müsst vollständig auf diese Dinge verzichten, die an der Oberfläche Dharma zu sein scheinen, in Wirklichkeit aber weltliche Erscheinungen sind. Es wäre gut, gewissenhaft und fleißig zu bleiben und wahres Buddha Dharma zu praktizieren.“

Die Jünger fragten darauf: „Wenn es den Lebewesen nützt, können wir ein wenig weltliche Phänomene betreiben?“

Der Ehrwürdige antwortete: „Wenn die Motive, Weltliches zu tun, vollkommen selbstlos sind, ist das erlaubt. Aber es ist tatsächlich sehr schwierig. Wenn man etwas für andere tun möchte, es aber eigentlich aus eigener Gier heraus tut, dann bringt das einem nichts, ganz zu schweigen davon, dass es anderen nützt. Es ist dann genauso wie ein Mensch, der Schwimmen gehen will, ohne selbst schwimmen zu können. Er wird nicht schwimmen können und zudem einen grausamen Tod durch Ertrinken erleiden. Besser man spricht erst gar nicht darüber, etwas tun zu wollen, um anderen zu helfen, bevor man die Realität der Leere kennt. Ohne Kultivierung und Erleuchtung anderen Lebewesen helfen zu wollen, ist genauso, wie wenn ein Blinder Blinde führt. Am Ende fällt man in den Abgrund des Eigennutzes. Tatsächlich ist der leere Raum endlos und die Anzahl der Lebewesen ist auch unzählig. Nachdem man die Praxis vollendet hat, gibt es zu viele Wege, Wesen zu retten. Man kann den Wesen an jedem Ort und zu jeder Zeit Erlösung anbieten. Vor der Vollendung sollst du reine Absichten und große Barmherzigkeit haben und fleißig die Buddhaschaft anstreben, um allen Lebewesen zur nutzen. Bitte gebt alle Gedanken an Kleidung, Essen, Ruhm und Vorteile auf. Bitte erleidet die Schwierigkeiten und tragt die Last in eurem Herzen. Auf diese Weise sollte praktiziert werden. Das ist, um Lebewesen zu retten. Das ist, den Weg zu erlangen: praktizieren und letztendlich all die Vorteile für sich selbst und andere zu erreichen.“

Der ehrwürdige Milarepa fuhr fort: „Nun kann ich nicht länger hierbleiben. Bitte erinnert euch an meine Worte und führt meine Tradition fort.“ Mit diesen Worten ging er in die tiefe Meditation, die sich als Manifestation zeigte, im Alter von 84 Jahren zu sterben. Es war der Morgen des 14. Dezember 1135. Die Sterne waren fast verschwunden und die Morgensonne ging auf. Der physische Körper des Ehrwürdigen erlangte Dharma-Natur, die sich als Nirwana zeigte.

In diesem Moment zeigte sich die heilige Szenerie der Versammlung himmlischer Wesen und Dakinis noch gigantischer und prächtiger. Ein riesiger, heller Regenbogen erschien am Himmel, so lebendig, dass man glaubte, ihn mit den Händen greifen zu können. Alle Farben verschmolzen mit dem Himmel und ein achtblättriger Lotus stand im Zentrum des Regenbogens. Über der Lotusblume war ein wunderschönes Mandala zu sehen. Selbst der beste Maler der Welt könnte nicht so eine anmutige Szene erschaffen. Die fünffarbigen Wolken auf der Spitze wandelten sich zu Bannern, Armbändern und Schirmen und endlosen anderen Formen. Alle Arten von Blumen in allen möglichen Farben fielen vom Himmel wie Regen. Farbige Wolken umrundeten die Berggipfel in vier Richtungen. Wolken wie ein Stupa umgaben das Zentrum von Chubar. Jeder konnte schöne himmlische Musik und Lobgesang vernehmen. Düfte überströmten die Erde. Auch weltliche Menschen konnten himmlische Wesen und Gottheiten in den Lüften sehen, die Gaben darbrachten. Die Menschen waren nicht erstaunt, die himmlischen Wesen nackt zu sehen, aber die himmlischen Wesen fürchteten sich vor dem Geruch und Gestank der fleischlichen Körper der Menschen, und bedeckten oft ihre Gesichter, wenn sie an jemandem vorbeikamen. Manchmal sprachen die himmlischen Wesen und die Menschen miteinander oder begrüßten sich. Jeder konnte diese außergewöhnlichen Szenen sehen.

Almosengeber in Nyanam hörten, dass der Ehrwürdige ins Nirwana eingegangen war, und alle kamen nach Chubar. Sie brachten gegenüber den langjährigen Jüngern und Almosengebern in Chubar verschiedene Gründe vor, um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, den Körper des Ehrwürdigen zur Beerdigung nach Nyanam zu bringen. Doch ihre Forderung wurde von den langjährigen Jüngern abgelehnt. Die Almosengeber von Nyanam baten dann darum, das Begräbnis zu verschieben, um den Gläubigen aller Orte noch eine Chance zu geben, den Ehrwürdigen zu sehen. Die Almosengeber in Chubar stimmten dem zu. Die Leute aus Nyanam diskutierten miteinander und kamen mit einer Gruppe starker Leute zurück, um zu versuchen, den Körper des Meisters mit Gewalt fortzunehmen. Es gab Diskussionen mit den Almosengebern in Chubar und in dem Chaos kam es fast zu einem Kampf. Die langjährigen Jünger sahen das und sagten: „Wir sind alle Gläubige des Ehrwürdigen. Bitte hört auf zu streiten. Da der Ehrwürdige in Chubar ins Nirwana einging, wäre es nicht angemessen, das Begräbnis in Nyanam abzuhalten. Bitte wartet hier. Nachdem die Einäscherung vorbei ist, werdet ihr sicherlich einige Relikte und Asche zum Darbieten haben.“ Doch einige Leute aus Nyanam dachten, dass sie eine große Menschenmenge seien, und planten, den Körper mit Gewalt an sich zu nehmen. Plötzlich erschien ein himmlisches Wesen am Himmel und sprach mit der Stimme des Ehrwürdigen.

Almosengeber, Gläubige und Jünger waren unglaublich erfreut und glücklich, als hätten sie den Ehrwürdigen noch einmal wiedergesehen. Sie hörten auf zu streiten und beteten aufrichtig. Am Ende erhielten die Menschen in Nyanam durch eine unvorstellbare Wandlung einen anderen Körper des Ehrwürdigen zusätzlich zu dem, den die langjährigen Jünger und Almosengeber in Chubar bewahrten. Sie trugen den Körper und gingen, um ihn in Dudul Puk in den Lapchi Schneebergen einzuäschern. Und wieder erschien der Regenbogen mit fünf Farben, bunte Wolken, himmlische Musik, Duft und andere verheißungsvolle Erscheinungen, genauso wie die, die während des Nirwanas geschehen waren.

In Chubar beteten die langjährigen Jünger und Almosengeber aufrichtig und unterbrochen sechs Tage lang. Plötzlich begann das Gesicht des Ehrwürdigen zu strahlen wie das eines achtjährigen Kindes. Mehrere langjährige Jünger diskutierten: „Rechungpa wird wahrscheinlich nicht kommen. Wenn wir weiter warten, bleibt vielleicht nichts übrig, nicht einmal Asche für unsere Zeremonien. Lasst uns die Einäscherung bald durchführen.“ Nach der Diskussion schaute sich jeder noch einmal das Gesicht des Meisters an, und sie brachten den Körper vor die Höhle. Sie bauten ein Gestell für die Einäscherung, legten den Körper darauf und malten ein Mandala. Obgleich dies nicht mit einer himmlischen Zeremonie vergleichbar war, war es eine Darbietung der besten Gaben der menschlichen Welt. Die Einäscherung sollte im Morgengrauen, nach allen Gebeten und Ritualen stattfinden. Doch ganz gleich, wie sie es versuchten, sie konnten das Feuer nicht anzünden. Da erschien plötzlich ein Regenbogen am Himmel, mit fünf Dakinis.

Ngandzong sagte: „Der letzte Wille des Ehrwürdigen und die Dakins sagten uns beide, den Körper des Ehrwürdigen nicht vor der Ankunft von Rechungpa zu bewegen. Doch Rechungpa ist nicht gekommen, und der Körper wird wahrscheinlich bald verwesen. Was sollen wir tun?“

Repa Zhiwa O sagte: „Den Instruktionen des Ehrwürdigen und der Dakinis folgen! Und da es nicht gelungen ist, das Feuer anzuzünden, um den Körper zu verbrennen, wird Rechungpa sicherlich bald kommen. Lasst uns aufrichtig beten.“ Sie brachten den Körper wieder zurück in den hinteren Teil der Höhle, und alle beteten weiter ernsthaft.

Damals meditierte Rechungpa in einem Tempel in Lorodol. Eines Tages nach Mitternacht, in einem Gefühl von Klarheit und Schlaf, sah er, wie ein kristallener Stupa den leeren Raum rundherum erleuchtete. Zahllose Dakinis begleiteten den Stupa in eine andere Welt. Überall auf der Erde waren seine Vajra-Brüder und Almosengeber. Der Gesang himmlischer Wesen und Dakinis erfüllte den Himmel mit unvorstellbarem Gaben-Wolken überall. Rechungpa machte Kotau vor dem Stupa. Plötzlich erschien das Gesicht des Ehrwürdigen in dem Stupa. Der Ehrwürdige sagte zu Rechungpa: „Mein Sohn, obgleich du nicht meinen Worten gefolgt bist, rechtzeitig zurückzukommen, bin ich sehr froh, wenn wir, Vater und Sohn, uns noch einmal treffen können. Du und ich können uns vielleicht in Zukunft nicht mehr oft sehen. Bitte verliere nicht die wertvolle Gelegenheit und lass uns ein gutes Gespräch führen.“ Mit diesen Worten legte der Ehrwürdige seine Hand auf Rechungpas Kopf und lächelte ihm zu. Voller Traurigkeit und Freude erlebte Rechungpa ein beispielloses Vertrauen und ein wundervolles Gefühl.

Als Rechungpa erwachte, erinnerte er sich, dass der Ehrwürdige ihn gebeten hatte, zu einer bestimmten Zeit zurückzukommen, und er war sehr bestürzt. „Ist der Ehrwürdige ins Nirwana eingegangen?“ Unerträgliche Trauer und ein tiefes Vertrauen kamen sofort in ihm auf, und er betete aufrichtig: „Meister, ich bin voller Reue, nicht rechtzeitig gegangen zu sein. Aber ich gehe jetzt!“ Als er darüber nachdachte, erschienen zwei junge weibliche Wesen im Himmel und sagten zu ihm: „Rechungpa, der Ehrwürdige geht jetzt ins Reine Land. Wenn du nicht schnell genug bist, kannst du ihn vielleicht in diesem Leben nicht mehr sehen. Bitte beeile dich!“

Während er nur an seinen Meister dachte, war Rechungpa bestrebt zurückzugehen. Er brach sofort zur Reise auf. Das Zwitschern der Vögel im Tempel kündigte das Morgengrauen an.

Rechungpa betete im Geiste und wendete seine übernatürlichen Kräfte an. An einem halben Morgen flog er eine Entfernung, für die ein Pferd oder ein Esel zwei Monate Reisezeit gebraucht hätte. Als er in Drin ankam, war die Sonne aufgegangen und es war schon heller Tag. Er setzte sich hin, um auszuruhen. Er sah, als er nach oben schaute, überall glücksverheißende Wolken. Insbesondere auf dem Berggipfel, wo der Ehrwürdige ins Nirwana eingegangen war, war eine gigantische grenzenlose Wolkenkuppel, die helles Licht ausstrahlte. Unzählige himmlische Wesen und Dakinis brachten den fünf Sinnen ein großes Opfer da. Einige himmlische Wesen beteten und andere legten Gelübde ab, manche machten Kotau und mehrere sangen Lobgesänge. Als Rechungpa dies sah, hatte er gemischte Gefühle von Traurigkeit und Freude. Aus Misstrauen fragte er ein himmlisches Wesen: „Warum haltet ihr diese Darbietung und Verehrung ab?“

Das himmlische Wesen sagte: „Bist du taub oder blind? Weißt du nichts von dieser speziellen Versammlung von Himmel und Erde? Mila Zhepa Dorj geht ins Reine Land der Dakinis. Himmlische Wesen und Menschen halten Verehrungszeremonien ab. Weißt du das nicht?“

Rechungpa hörte die Worte und fühlte großen Schmerz, als wäre ihm ein Messer ins Herz gebohrt worden. Er rannte zu der Höhle, in der der Ehrwürdige ins Nirwana eingetreten war. Als er ein Plateau in Form eines Stupa erreichte, sah er den Ehrwürdigen wie in einem Traum ihm zulächeln und sagen: „Ist es mein Sohn Rechungpa, der da kommt?“

Als er ihn sah, freute sich Rechungpa sehr und dachte, der Ehrwürdige sei noch am Leben. Er machte Kotau und grüßte seinen Meister. Er stellte dem Ehrwürdigen auch viele Fragen und erhielt eine Antwort nach der anderen. Am Schluss sagte der Ehrwürdige zu Rechungpa: „Mein Sohn, ich muss als Erster gehen. Bitte komm später zu mir, und ich werde dich aufnehmen. Bitte vergiss nicht meine Worte.“ Nachdem der Ehrwürdige diese Worte gesagt hatte, verschwand er augenblicklich.

Mit Verunsicherung im Herzen kam Rechungpa nach Chubar und erreichte die Höhle. Dort sah er Jünger und Almosengeber, wie sie trauernd um den Körper des Ehrwürdigen beteten. Viele der neueren Schüler hatten Rechungpa noch nie zuvor gesehen und hinderten ihn daran, näher zu kommen. In tiefster Trauer weinte Rechungpa und sang:

„Mein dankbarer Meister ist wie ein barmherziger Vater, mit bedingungsloser Barmherzigkeit. Meister, könnt Ihr mein Weinen hören,mit bedingungsloser Barmherzigkeit? Bemitleidet Ihr mich für meinen Schmerz, ah, mein barmherziger Vater und Meister?“

Als Rechungpas Lied in die Höhle ging, leuchtete das Gesicht des Ehrwürdigen plötzlich, als ob er noch am Leben wäre. Sein Körper ging von selbst in Flammen auf. Als Repa Zhiwa O, Ngandzong Repa und andere Hauptschüler, wie auch die Almosengeber das Lied von Rechungpa hörten, kamen sie heraus, um ihn zu begrüßen. Da die neuen Schüler ihn nicht kannten und ihn nicht hatten hineingehen lassen, war Rechungpa sehr traurig und ging erst nach sieben Opferliedern hinein. Die Leidenschaft und die aufrichtigen Lieder von Rechungpa berührten den Ehrwürdigen. Obwohl er bereits ins Nirwana der Helligkeit und der Buddhanatur eingetreten war, saß er aufgerichtet in der Helligkeit und sagte zu den neuen Schülern: „Meine Schüler, die vor kurzem begonnen haben zu praktizieren, bitte tut das nicht. Rechungpa ist wie ein Löwe und er verdient euren Respekt.“ Dann sagte er zu Rechungpa: „Mein Sohn, bitte fühl dich nicht schlecht. Du kannst hier zu deinem Vater kommen.“

Als sie dieses Wunder sahen, waren alle erstaunt und voller Bewunderung. Sie waren sehr glücklich.

Rechungpa kam zu dem Körper, umarmte den Ehrwürdigen und weinte laut. Von der Trauer überwältigt verlor er das Bewusstsein und fiel zu Boden. Als er aufwachte, sah er die Schüler und die Almosengeber um den Altar versammelt. Der Körper des Ehrwürdigen lag nicht wie eine reine Vajra, sondern saß fest inmitten des Feuers einer achtblättrigen Lotusblume. Wie die Staubblätter einer Blume, saß der Körper des Ehrwürdigen im Zentrum des Feuers des achtblättrigen Lotus. Seine rechte Hand zeigte die Geste des Unterrichtens über den Flammenspitzen, während seine linke Hand seine Wange in der Sing-Position stützte. Vor Rechungpa und den anderen Schülern sagte der Ehrwürdige: „Bitte hört das letzte Lied von mir, einem alten Manne.“ Auf dem Altar sang er dann das Lied der sechs wesentlichen Elemente.

„Mein wundervoller Sohn Rechungpa, hör meinen letzten Willen und mein letztes Lied; reinkarnierend im Feuermeer der Drei Weltkreise, sind die fünf Aggregate und der illusionäre Körper der Schlüssel. Gierig nach Kleidung und Besorgungen eilen, die weltlichen Dinge finden kein Ende. Keine weltlichen Erscheinungen mehr, Rechungpa!

In der illusorischen Transformationist ein substanzloser Geist der Schlüssel. Ein vom Körper getriebener Geist kann Dharma-Natur und Realität nie erreichen. Bewahre einen gütigen Geist, Rechungpa!

Geist und Materie, nehmen und ablehnen, Geist und Wahrnehmung im Bardo ist der Schlüssel.Oft an den Körper denken oder nicht, kann die Bedeutung der Realität nicht verstanden werden. Beobachte die Realität gut, Rechungpa!

Sechs Weltkreise in Chaos, wie eine Stadt ohne Licht, Sünden und Karma angehäuft wie ein Berg. Wenn Drangsale wie Gier und Wut bestehen bleiben, ist die Ebenbürtigkeit der Menschen nie mehr zu erkennen. Keine Gier und keine Wut mehr, Rechungpa!

Tausende Buddhas im Reinen Land, wortgewandt und gut im Unterrichten des Dharma.Wenn man sich nur auf süße Worte verlässt, um über ähnliche Prinzipien zu sprechen, kann die wahre Bedeutung nie verstanden werden. Kein behelfsmäßiges Unterrichten ist erlaubt, Rechungpa!

Meister, Gottheiten und Dakinis, vereine sie im Gebet. Aufrichtige Erkenntnisse, gute Taten und aufrichtige Praktik, meditiere ohne Unterschied zu diesen Drei. Dieses Leben, zukünftiges Leben und Bardo wie Eins zu praktizieren und erinnere dich gut an das Dharma. Dies sind meine letzten Worte an dich als mein letztendliches Testament. Ohne weitere Worte als diese zum Weitergeben, ihnen folgend praktiziere, mein Sohn!

Nach diesen Worten ging der Ehrwürdige wieder in die Helligkeit und die Buddhanatur ein. Bald nachdem der Ehrwürdige ins Nirwana eingegangen war, leuchtete der Altar hell und verwandelte sich in einen viereckigen Palast. Da gab es alle möglichen, reichhaltigen und außergewöhnlichen Opfergaben, einschließlich hellen Schirmen, farbenreichen Wolken und Bannern. In der Helligkeit erschienen unzählige himmlische Feen, die zu wundervoller Musik sangen und tanzten. Über dem Altar in dem freien Raum hielten himmlische Knaben und Feeen Flaschen mit süßem Tau als Opfergaben. Unter den Schülern und den Almosengebern sahen manche den Ehrenwerten im Altar als Hevajra, manche sahen ihn als Chakrasamvara oder als Guhyasamaja und manche sahen ihn als Vajrayogini. Abhängig von den unterschiedlichen karmischen Beziehungen und Grundlagen sahen alle unterschiedliche Buddhakörper.

Da erfüllten unzählige Dakinis den freien Raum und sangen gemeinsam:

„Zu der Zeit, als der Ehrenwerte ins Nirvana einging,Menschen und himmlische Wesen trauern alle.Manche weinen heftig, mit ununterbrochen fließenden Tränen,manche sind in Schwindel und Frustration und können sich nicht halten.Innere Hitze entflammt von selbst, mit Flammen wie die der achtblättrigen Lotusblume; sieben Schätze und acht Vorzeichen, Tausende von Opfergaben erscheinen beliebig.Laute Psalter und alle Musikinstrumente sind da,spielen unermesslich wundervolle Melodien. Himmlische Mädchen kommen aus dem Feuer,bringen gewaltige innere und äußere Opfergaben. Getaucht in Düfte und in angenehmer Atmosphäre,Schirme und Banner in Herrlichkeit.Opfergaben kommen von den glückverheißenden himmlischen Mädchen, Reliquien verschwunden mit einem Körper der Reinheit. Physischer Körper kremiert ohne restliches Aggregat, sind die Reliquien des Meisters selten und wertvoll.Tatsächlicher Körper hoch, wie freier Raum, mit gnadenvollen Wünschen der Körper voll Wohlgefühl ist wie die Dharma-Wolken. Lohn des sich wandelnden Körpers wie Blumenregen, unzählige Lebewesen zur Reife bringt. Dharma-Natur ist leer und geburtslos, dort, wo es gar keine Geburt gibt. Leere unterscheidet sich von Geburt und Vergehen, während Geburt und Vergehen selbst leer sind. Dies ist die tiefgründige Bedeutung der Leere und des Seins,und ihr alle sollt darüber nicht in Verwirrung sein.

Nachdem die Dakinis das Lied gesungen hatten, war es fast dunkel geworden. Der Himmel wurde allmählich dunkel und das Feuer auf dem Altar war bereits erloschen. Überrascht von der Helligkeit innerhalb und außerhalb des Altars schauten die Schüler hinein und sahen einen hellen Stupa im Zentrum des Altars. Innerhalb der Stupa sahen manche Chakrasamvara, manche sahen Vajrayogini oder Hevajra, manche sahen die Vajra-Glocke, Stößel, Flaschen, Mudra und alle möglichen Zeichen von Körper, Rede und Geist. Es gab auch manche, die goldene Helligkeit, Meerwasser, Feuer oder nichts sahen.

Die Schüler öffneten die Tür des Altars, damit die heiße Luft hinausgelangen konnte. Sie wollten am nächsten Tag für die Reliquien zurückkommen. Zu jener Zeit geschahen viele unvorstellbare Zeichen. In jener Nacht schliefen alle mit dem Kopf zur Altartür gerichtet. Als Rechungpa am nächsten Morgen aufwachte, sah er fünf Dakinis, die wegen der Opfergaben zum Altar kamen. Sie trugen Halsketten, Knochenornamente, Juwelenverzierungen und Opfergaben für die fünf Sinne. Nach einer Weile sah er fünf große Dakinis, die etwas Erhellendes von dem Altar nahmen und wegflogen. Erstaunt über das, was er gesehen hatte, erkannte Rechungpa plötzlich, dass die Dakinis die Reliquien des Ehrenwerten mitgenommen hatten. Panisch eilte er hinaus und sah die Dakinis bereits in der Luft mit den Reliquien. Rechungpa ging zurück und weckte alle anderen Schüler auf. Als sie die Altartüre aufmachten, sahen sie, dass kein einziges Relikt übrig war. In äußerster Trauer bat Rechungpa die Dakinis, einige Reliquien für die Schüler in der Menschenwelt zurückzulassen.

Die Dakinis erwiderten: „Ihr, die Hauptschüler, habt die besten Reliquien erhalten und habt den wahren Körper gesehen. Wenn das nicht genug ist, dann betet zum Ehrenwerten und er wird sie euch selbstverständlich geben. Was andere Menschen betrifft, sind sie, verglichen mit dem Ehrenwerten, welcher so hell wie die Sonne und der Mond ist, nicht einmal Glühwürmchen. Wozu brauchen sie die Reliquien? Diese Reliquien gehören uns.“ Dann blieben sie regungslos in der Luft. Als die Jünger die Worte der Dakinis hörten und darüber nachdachten, wussten sie, dass die Worte richtig waren. Sie waren voller Reue.

Dann sahen sie ein strahlendes Licht in fünf Farben, das aus den Händen der Dakinis und den Reliquien des Ehrenwerten – in der Größe eines Vogeleies – auf den Altar fiel. Die Schüler sahen die Reliquien herunterkommen und alle streckten sich danach aus, um sie zu erhalten. Da flogen die Reliquien plötzlich zurück hoch nach oben in die Luft und verschmolzen mit dem Licht der Dakini-Hände. Das Licht teilte sich plötzlich in zwei: Eines war ein Löwenthron mit einem Kissen mit einer Sonne und einem Mond darauf und das andere war ein Stupa mit einer Keramikglasur. Der Stupa strahlte fünffarbiges Licht aus – rot, weiß, blau, gelb und grün. Das Licht erhellte die Dreitausend Welten. Umgeben von eintausendundzwei Buddhas saß der Ehrenwerte Milarepa in der Mitte, mit Millionen Dakinis, die sich versammelt hatten, um Opfer darzubringen. Zwei himmlische Feen hielten von unten den Stupa.

Nachdem das Lied beendet war, hielten die Dakinis den Stupa und waren bereit, den Ehrenwerten in das Reine Land der Dakini einzuladen. Zu jener Zeit dachte Repa Zhiwa O: „Im Namen der Lebewesen in dieser Welt sollte ich die Dakinis bitten, diesen Stupa hier in dieser menschlichen Welt zu hinterlassen, damit die Schüler vor ihm Opfer darbieten können.“ Dann betete er traurig und aufrichtig.

Als die Dakinis den Stupa hielten und über die Hauptschüler hinweg flogen, schossen plötzlich Lichtfäden aus dem Stupa heraus. Ein Faden aus Licht kam auch aus jedem Kopf der Schüler. Alle sahen den Ehrenwerten, wie er aus der Mitte der Stupa in die Luft flog, sich in Hevajra, Chakrasamvara, Guhyasamaja und unzählige Buddhas verwandelte und von den Dakinis umgeben war. Zum Schluss wurden alle Buddhas und Bodhisattwas zu Licht und verschmolzen im Herzen des Ehrenwerten. Mit himmlischer Musik wurde der Ehrenwerte im Östlichen Reinen Land von Abhirati willkommen geheißen.

Einige Schüler sahen den Freudenkörper des Ehrwürdigen auf einem Löwenthron mit Ornamenten sitzen. Vier Dakinis begleiteten ihn, angeführt von Guhyasamaja. Mit unvorstellbar himmlischer Musik und Gabenwolken flogen sie in das Östliche Reine Land von Abhirati.

Als sie sahen, dass der Ehrwürdige außer Reichweite war und es ihnen nicht möglich war, Reliquien für die Opfergaben zu erhalten, weinten alle Hauptschüler laut und beteten in Trauer. Plötzlich hörten sie die Stimme des Ehrenwerten im Himmel: „Meine Schüler, bitte seid nicht so traurig. Ihr werdet vier eingravierte Schriftzeichen unter einem Felsvorsprung finden. Danach werdet ihr eine Opfergabe finden.“ Sie schauten überall in der Nähe der Klippe nach und sahen dann die eingravierten Worte auf einem Stein, die noch heute in einem Tempel in Chubar zu sehen sind.

Die Schüler sahen, dass der Ehrwürdige in eine andere Welt gegangen war, und sie waren sehr traurig. Sie wussten, dass sie im Reinen Land des Ehrenwerten wiedergeboren werden können. Zudem verstanden sie, dass all die Manifestationen des Ehrenwerten für das Buddha-Gebot und die Lebewesen waren. Sie waren entschlossen und hingebungsvoll, sich selbst und andere zu begünstigen. So begannen sie, das Testament des Ehrenwerten zu lesen und das Gold unter der Feuerstelle zu suchen.

Obschon sie wussten, dass der Ehrenwerte kein Gold besaß, folgten trotzdem alle seinem Willen und sahen unter der Feuerstelle nach. Wie sie es vermutet hatten, lag ein Baumwollgewand unter der Feuerstelle, darin war ein kleines Messer mit einer scharfen Klinge und eine Ahle, die an dem Griff befestigt war. Zudem gab es eine kleine Süßigkeit und einen Wetzstein, der in ein Tuch gewickelt war. Sie untersuchten das Messer genau und sahen mehrere Wortzeilen darauf: „Benutzt dieses Messer, um die Süßigkeit und die Kleidung zu zerschneiden und sie werden nie verbraucht sein. Auf diese Art könnt ihr die Süßigkeit und die Kleidung mit allen teilen. Jeder, der von der Süßigkeit isst oder ein Stück von dem Kleidungsstück erhält, wird nicht mehr in die Drei Unterwelten fallen. Das Samadi-Essen und die Kleidung von Milarepa war von Meistern und Buddhas unterstützt worden. Jeder, der meinen Namen hört und den Glauben hat, wird während sieben Generationen nicht in die Drei Unterwelten fallen und es wird ihm möglich sein, sich an die Dinge der vergangenen sieben Generationen zu erinnern. Dies ist eine Prophezeiung von Buddhas und Bodhisattwas. Wenn jemand sagt, Milarepa habe Gold, dieser Mensch soll Fäkalien essen.“ In tiefer Trauer lasen die Jünger den letzten Satz des Testamentes und konnten nicht anders, als zu lachen. Alle waren fröhlich.

So zerschnitten sie die Süßigkeit mit dem Messer. Egal wie oft sie es schnitten, es war immer noch Süßigkeit übrig. Das gleiche geschah mit der Kleidung – ganz egal, wie oft sie sie zerschnitten, das Kleidungsstück blieb immer in seiner ursprünglichen Größe. Nachdem sie viele Male geschnitten hatten, erhielt jeder ein Stück Kleidung und Süßigkeit. Nachdem sie die Süßigkeit gegessen hatten, wurden die Menschen, die krank waren, wieder gesund. Jene mit einer schlechten angeborenen Grundlage und welche, die von ihren Drangsalen geplagt wurden, vergrößerten langsam ihre Weisheit und ihre Gutherzigkeit.

Während der Bestattungszeremonie kamen fünffarbige Blumen vom Himmel hinunter. Die meisten verschwanden, als sie die Köpfe der Menschen berührten, und manche fielen zu Boden. Wenn die Menschen sie auflasen, sahen sie, dass die Blütenblätter der Blumen so dünn wie Bienenflügel und sehr schön waren.

Die himmlischen Blumen fielen und bedeckten knöchel- bis knietief den Boden nahe Chubar. Auch in anderen Regionen fielen die Blumen wie Schneeflocken vom Himmel. Als die Zeremonie beendet war, verschwanden diese wundersamen Zeichen langsam.

Noch viele Jahre danach gab es an jenen Tagen, an denen des Ehrwürdigen gedacht wird, Regenbögen, die sich über den Himmel spannten, und Blumen, die vom Himmel fielen. Himmlische Melodien und angenehme Gerüche wehten durch die Luft, gemeinsam mit vielen anderen Wundern. Zudem blühten überall im Land viele verschiedene wunderbare Blumen. Die Ernten waren Jahr für Jahr reichlich und es gab weder Krankheiten noch Kriege. Alle Arten von Wundern geschahen, eines nach dem anderen – zu viele, um sie aufzuzählen.

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