Meinen Kampfgeist und mein ewiges Gejammere Schritt für Schritt ablegen

Ich grüße Sie, ehrwürdiger Meister! Seid gegrüßt, Mitpraktizierende!

Seit langer Zeit ist mir bewusst, dass ich einen starken Kampfgeist habe und sehr kritisch bin. Diese Eigensinne zeigen sich regelmäßig und sind beizeiten sehr offensichtlich. Manchmal äußern sie sich zwar subtiler, sind aber trotzdem vorhanden, wenn auch in anderer Form.

Ich habe festgestellt, dass ich gerne meine Meinung kund gebe und regelmäßig anderen widerspreche und sie widerlegen will. Jede Idee, jeden Vorschlag und jeden Plan von jemand anderem beurteile ich sofort nach meinen eigenen Maßstäben oder Ansichten, was oft zu Ablehnung oder Streit führt, statt dass ich Zustimme oder etwas gut finde. Manchmal bin ich ausgesprochen wählerisch, selbst wenn die Idee im Großen und Ganzen gut ist, und ich finde immer eine Kleinigkeit an der ich herum meckere.

Ich habe auch erkannt, dass ich, wenn ich mit anderen streite, oder auch, wenn ich nur meine Ideen vorbringe, oft schroff wirke. Die Worte, der Inhalt, der Tonfall und die Einstellung mit der ich spreche, sind oft bissig oder kampflustig. Manchmal rede ich laut oder schnell, wobei ich sehr stark das Gefühl habe, meinen Punkt zu verdeutlichen, während ich angeben oder mich messen will. Ich bewundere diejenigen, die ihre Gedanken ohne Hast und strukturiert ausdrücken können, weil ich es selten schaffe, ruhig, friedlich und geduldig zu sprechen.

Mein Kampfgeist hat eine lange Geschichte. Ich habe schon immer gerne wegen unwichtiger Dinge gestritten, selbst in beiläufigen Gesprächen. Ein solcher Kampfgeist hängt eng zusammen mit der Kultur der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), die uns seit unserer Kindheit eingeprägt wurde. Nachdem ich die Neun Kommentare über die Kommunistische Partei und Auflösen der Parteikultur gelesen hatte, wurde mir dies glasklar. Deshalb versuche ich jetzt immer darauf zu achten, doch oft gelingt es mir nicht.

Zum Beispiel sprach ich kürzlich innerhalb von zwei Tagen mit zwei Personen und soweit ich beobachten konnte, fühlten sie sich danach nicht wohl. Das erste Gespräch war mit einer Mitpraktizierenden der Tian Guo Marching Band, die mehrere Male am Stück nicht zu den Orchesterübungen erschienen war. Ich fragte sie: „Warum verpasst du immer das Üben? Willst du noch weiter im Orchester bleiben? Du solltest mehr auf das Orchester achten.“ Sie antwortete grob: „Warum bist du so aggressiv? Ich achte sehr wohl darauf.“ Ich merkte, dass ihr bei meinen Worten unwohl wurde.

Ein weiteres Beispiel war, als ein Mitpraktizierender mit uns im Auto am Samstag zum Fa-Lernen fahren wollte, doch weil er zu spät kam, mussten alle, die schon im Auto waren, lange Zeit warten. Ich rief ihn an und sagte: „In Zukunft solltest du eine Zeit fest machen, zu der ich dich abhole, oder mit jemandem fahren, der näher bei dir wohnt.“ Er erklärte, dass es an diesem Tag besondere Umstände waren und an anderen Tagen müsste niemand auf ihn warten. Er sagte, in Zukunft würde er mit einem anderen Praktizierenden fahren, weil man mit diesem „angenehmer reden könnte.“ Während des Gesprächs bemerkte ich wieder, dass er sich meinetwegen unwohl fühlte.“

Bei diesen beiden Vorfällen bekam ich von zwei unterschiedlichen Personen genau dieselbe Reaktion und innerhalb von zwei Tagen hatte ich mit einer dritten Person ein ähnliches Gespräch. Meine Worte waren schwer zu schlucken und andere fühlten sich durch sie unwohl, wodurch ich mich dann unwohl fühlte. Ich dachte: „Ich habe doch aus guter Absicht gesprochen und auch nicht für meinen eigenen Vorteil, wieso hatte es dann eine so schlechte Wirkung?“

Ich dachte sofort: Als Praktizierender muss ich nach innen blicken. Je schlechter ich mich fühle, umso tiefer muss ich suchen. Weil dies mehrmals geschehen war wusste ich, dass es an mir liegen musste. Hatte ich zum Beispiel wirklich Recht? Und hatte ich es gut gesagt? Die Antwort war nein. Darum musste ich mich unwohl fühlen. Es war eine gute Sache, weil ich dadurch meine Unzulänglichkeiten erkennen konnte.

Ich weiß, dass ich oft etwas sage, ohne an die Gefühle meines Gegenübers zu denken. Auch wenn ich nicht direkt etwas für mich bekommen wollte, hatte ich nicht doch den anderen meine Ansichten aufgezwungen durch die Art, wie ich sprach? Hatte ich auch nur irgendwie daran gedacht, wie sie sich fühlten? Fragte ich oder interessierte ich mich für ihre Situation? Hatte ich barmherzig gehandelt?

Als ich darüber nachdachte erkannte ich, dass meine Worte ein starkes Selbstgefühl hatten mit großem Kampfgeist und viel Kritik. Dies waren Lektionen, die ich lernen musste. Zusätzlich sagte einer von ihnen, dass mit einem anderen Praktizierenden „leichter zu reden“ sei. War dies nicht eine Widerspiegelung seiner Barmherzigkeit? Mir fehlte es ganz klar daran.

Zum Angeben und zum Kampfgeist gehört auch eine kritische Einstellung, etwas, dass ich auch seit langer Zeit habe. Wenn etwas nicht so ist, wie ich will, sich die Dinge nicht entwickeln, wie ich es mir vorgestellt habe, wenn andere nicht zustimmen, wie ich denke oder arbeite, oder wenn ich bei anderen Unzulänglichkeiten sehe, dann kommen diese kritischen Gedanken.

Natürlich kann es sein, dass die Probleme, die ich sehe, wirklich da sind. Doch in vielen Fällen liegt es nur an meinen Annahmen: „Wie konnte es dazu kommen?“ „Wer hat das getan?“ Wenn ich mit dieser Einstellung handle oder spreche, fühlen sich die anderen unwohl und es kann die Harmonie der Gruppe stören, wodurch das Ergebnis nie gut ist. Manchmal sage ich nichts, sondern behalte die Sache in mir. Dadurch bin ich dann unglücklich und es erzeugt eine negative Einstellung, die einem Kultivierenden nicht entspricht.

Mir war klar, dass ich mit diesem ständigen Meckern aufhören musste. Anfang letzten Jahres sagte ich zu meiner Tochter: „Wir sollten gute Vorsätze für das neue Jahr machen.“ Kinder schreiben oft zum neuen Jahr gute Vorsätze auf, wenn sie von den Eltern und Lehrern dazu ermutigt werden. Meine Tochter war kein Kind mehr und dachte, ich würde einen Witz machen und so antwortete sie: „Das braucht es nicht.“ Doch ich sagte: „Ich habe einen Vorsatz und er ist mir sehr ernst: 'Nicht mehr meckern'.“ Seitdem achte ich besonders darauf und verwende 'nicht mehr meckern' sogar als Passwort bei meinen Computern. Als Folge hat sich die Sache etwas gebessert, aber nach über einem Jahr musste ich feststellen, dass ich den Eigensinn noch immer nicht vollständig abgelegt hatte. Es war nur etwas besser und ich musste die ganze Zeit darauf achten, dass es nicht passierte – und wenn es passierte, dann schnell darauf reagieren und es lassen.

Vor kurzem reiste ich zu einer Parade nach Sydney. Wir kamen früh an und zwei Praktizierende, die am Tag des Umzugs ankommen wollten, wollten ihr Gepäck in unserem Zimmer lassen, bevor wir zusammen zu dem Ereignis gingen. Am Tag vor der Veranstaltung erfuhren wir, dass die Veranstaltung früher beginnen würde und wir kaum Zeit übrig haben würden. Zusätzlich war unsere Unterkunft sehr schwer zu finden. Würden die beiden rechtzeitig kommen? Würden sie uns finden? Wenn nicht, sollten wir dann warten oder ohne sie gehen? Früher hätte ich angefangen, die beiden dafür zu kritisieren, dass wir auf sie warten mussten oder dass wir ihretwegen zu spät kämen, obwohl wir unser Bestes getan hatten, um pünktlich zu sein.

Diesmal hinderte ich jedoch diese Gedanken daran, aufzukommen. Ich sah nicht das Schlechte in den anderen, etwas, was früher immer ein Problem von mir gewesen war. Dieses Mal sah ich nur ihre guten Seiten. Ich wusste, dass es schwer für diese beiden Praktizierenden war, einen Tag Urlaub zu bekommen und dass sie die ganze Nacht reisten, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Es war bewundernswert, wie wichtig ihnen die Sache war. Darum dachten wir, weil unsere Unterkunft schwer zu finden war: Sollten wir nicht einfach abwechselnd an der Hauptstraße stehen und nach den beiden Ausschau halten? Außerdem würde sich der Meister um uns kümmern und es würden keine Probleme entstehen. Am Ende lief alles glatt und die beiden Praktizierenden kamen an, als wir losgingen um auf sie zu warten.

Wenn ich für die Medien etwas zur Korrektur lese taucht leicht meine kritische Seite auf. Wenn ich einfache Übersetzungsfehler sehe oder die unangemessene Löschung wichtigen Inhaltes, dann beschwere ich mich: „Warum ist das so?“ Oder: „Wie konnte jemand einen so simplen Fehler machen?“ Dann denke ich daran, nicht zu meckern und lasse die kritischen Gedanken nicht aufkommen. Wenn sie doch aufkommen, schiebe ich sie beiseite. Stattdessen denke ich, jeder gibt sein Bestes und darum gibt es nichts zu kritisieren. Außerdem, wenn niemand Fehler machen würde, bräuchten wir auch keine Korrekturleser.

Eines Abends um 19:00 Uhr wurde ich gefragt, ob ich helfen könnte, einige Artikel Korrektur zu lesen, obwohl ich nicht dran war. Weil die Sache gemacht werden musste sagte ich nichts und machte es, ohne mir groß dabei etwas zu denken. Früher hätte ich die Sache nur murrend gemacht und mich beschwert, dass die anderen die Sache nicht richtig organisiert hätten. Ich nahm mir einen Artikel mit vielen Fehlern vor und verbrachte viel Zeit damit, ihn zu korrigieren. Als ich ihn hoch lud sah ich, dass jemand anderes ihn bereits korrigiert hatte und der Artikel bereits eingegeben war. Es schien als wenn alle meine Bemühungen umsonst gewesen wären – doch dieses Mal dachte ich nicht so. Mir war klar, dass unerwartete Dinge passieren konnten und der andere Korrekturleser auch sein Bestes gegeben hatte und deshalb das Ergebnis genauso gut war. Nächstes Mal würde ich einfach schon am Anfang genau aufpassen, damit wir nichts doppelt machen würden. Es war unnötig, sich wegen der verlorenen Zeit aufzuregen, oder darüber, dass meine Bemühungen umsonst waren.

Ich habe einige Fortschritte dabei gemacht, mein kritisches Denken abzulegen, doch ich habe noch immer viele Eigensinne und dieses kritische Denken ist noch nicht vollständig verschwunden. Doch zumindest dieses Mal konnte ich es daran hindern, aufzutauchen.

Ich danke Ihnen, Meister. Ich danke euch, Mitpraktizierende.

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