Welt Online (Deutschland): Berlin und die Geschichte Liu Wheis

9. Oktober 2007, 04:00 Uhr

Meine Woche: Warum der Westen die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen in China verschließt

Liu Whei, 1972 in Benxi in der Provinz Liaoning geboren, wurde vom 25. September 2001 bis 25. Januar 2003 aufgrund des Praktizierens von Falun Gong zunächst im Untersuchungsgefängnis des Pekinger Bezirks Dongscheng und dann im Frauenarbeitslager Peking inhaftiert. Ihre Schilderungen vom 19. August 2005 handeln von psychischer und physischer Folter – von schwerster Sklavenarbeit, versuchter Umerziehung, erpresstem Widerruf des Glaubens, von enormer Angst und unerträglichem Druck. Man muss nicht Anhänger von Falun Gong sein, um zu verstehen, dass mit Liu Whei Unrecht geschehen ist.

Die 35-Jährige hat die Haftzeit überlebt. Nach ihrer Freilassung arbeitete sie – wie vor der Verhaftung – bei der GTZ, der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. "Der chinesische Partner des Projekts ist das Komitee für Finanzen und Wirtschaft des Nationalvolkskongresses. Der Projektleiter der chinesischen Seite erhob Einwand dagegen, dass es in der Firma Falun-Gong-Praktizierende gibt. Er drohte damit, das Projekt einzustellen. Mein Chef, ein Deutscher, konnte nichts dagegen sagen, da er sonst auch von seinem deutschen Vorgesetzten Druck bekommen hätte. Die deutsche Regierung hilft China zwar häufig mit kostenlosen Projekten, strebt aber dabei oft danach, auf die chinesische Regierung einen guten Eindruck zu machen und große Aufträge von China zu bekommen", sagt Liu Whei.

Die GTZ ist eine Einrichtung in öffentlicher Hand. Für die Geschichte Liu Wheis trägt demnach auch Berlin Verantwortung. Zu klären wäre, wofür deutsche Steuergelder in China verwendet werden, und auch, wie es um unseren politischen Verstand steht, da wir doch längst mehr als genug über die Situation politisch Verfolgter, inhaftierter Journalisten, Anwälte, Tibeter und Angehöriger religiöser Minderheiten in China wissen. Trotz aller Versprechen durch die Pekinger Führung hat sich die Menschenrechtssituation im Vorfeld der Olympischen Spiele nicht verbessert, im Gegenteil.

Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen haben die Behörden allein im August 30 Journalisten und 50 Cyber-Dissidenten festgenommen. Li Heping und Gao Zshisheng stehen als Namen für alarmierende Drangsalierungen gegenüber chinesischen Anwälten. Sie werden vom Geheimdienst verfolgt, zusammengeschlagen, bedroht und verschleppt.

Trotz der Fakten besteht die freie Welt darauf, im kommenden Sommer in Peking ein heiteres Fest zu feiern. Olympia muss dabei als universelle "Kraft zum Guten" herhalten, wie es seit Langem heißt, dass ein liberaler chinesischer Markt das System zum Wanken bringen muss. Beides wird nicht so ohne Weiteres geschehen. Die Partei zeigt sich zwar nervös, aber repressiv und stabil wie eh und je. Doch heißt das nicht, dass sich der freie Westen gegenüber der chinesischen Kommerzdiktatur endlich zu einer anderen Politik durchringen muss? Angela Merkel und der Dalai Lama – sie haben in China mehr bedeutet, als man in Deutschland wahrhaben will.

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