Bieler Tagblatt, 16.03.02 : UNO-Kommission: Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Nach den Terrorangriffen am 11. September letzten Jahres auf die USA hat sich die Menschenrechtssituation weltweit verschlechtert. Die UNO soll jetzt die schlimmsten Verbrechen anprangern.

Jan Dirk Herbermann

Russische Soldaten wüten in Tschetschenien, chinesische Sicherheitskräfte unterdrücken systematisch ganze Völker, saudische Folterknechte quälen Gefangene: Moskau, Peking, Riad treten die Menschenrechte mit Füßen. Auch andere Regierungen, wie die israelische, können ein beängstigendes Sündenregister präsentieren. «Seit den Terrorattacken auf die USA hat sich die Menschenrechtssituation auf der ganzen Welt verschlechtert», klagt Reed Brody, Direktor von Human Rights Watch. «Mit Deckmantel Terroristenbekämpfung werden immer mehr bürgerliche Freiheiten beschnitten und teilweise brutalste Verbrechen verübt.»

Ab Montag kommen die schwersten Verstöße bei der UNO-Menschenrechtskommission in Genf zur Sprache. «Die Achtung der Menschenrechte sollte jedoch das ganze Jahr oberste Priorität bei allen Regierungen haben», fordert UNO-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson «Nicht nur während der sechs Wochen in Genf.»

Viele der Täter und ihre Chefs in den Regierungszentralen aber brauchen von der höchsten Menschenrechtsinstanz der Völkergemeinschaft ohnehin nichts zu fürchten. Beispiel Russland:
Moskaus Feldzug gegen «tschetschenische Terroristen» nimmt kein Ende. Amnesty International und Human Rights Watch berichten über einen «schmutzigen Krieg»: Vergewaltigungen, Folter, Hinrichtungen, Entführungen, Vertreibungen. UNO-Appelle, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, werden laut Human Rights Watch von Moskau schlicht ignoriert.

«Wie unter Stalin»

Auch außerhalb des Kriegsschauplatzes Kaukasus scheren sich russische Behörden kaum um die Menschenrechte. In vielen Gefängnissen herrschen laut Amnesty International «Zustände wie unter Stalin»: überfüllt, dreckig, inhuman. Bisher zögert jedes der 52 anderen Mitglieder der Menschenrechtskommission, eine Resolution gegen Russland einzubringen. Sie gilt als schärfste Waffe des Gremiums – zwar zieht ein solcher Text keine Sanktionen nach sich. Aber das Bloßstellen hat auf viele Regierungen abschreckende Wirkung. Doch wollen die EU-Staaten mit Moskau zunächst nur über einen «Konsenstext» verhandeln. EU-Diplomaten bestreiten zwar, «dass es einen Rabatt für Mitglieder der Antiterrorismus-Koalition wie Russland gibt». Doch gehen Menschenrechtsaktivisten vom Gegenteil aus. «Bundeskanzler Schröder hieß Russlands Präsident Putin in der Antiterrorfront willkommen», sagt Human-Rights-Watch Direktor Brody. «Jetzt können die Säuberungen in Tschetschenien ungestört fortgesetzt werden.»

Dass in diesem Jahr die USA zum ersten Mal seit 1947 kein Mitglied der UNO-Kommission sind, verdüstert die Aussichten für die Menschenrechte zusätzlich. «Wir werden uns dieses Jahr zurückhalten», bestätigen US-Diplomaten. Auch wenn die USA in punkto Menschenrechte keine weiße Weste haben: Ohne sie verliert die UNO-Kommission an Durchschlagskraft.

Falun Gong

Davon profitiert China. Da Washington Peking bisher fast immer anprangerte, dürfte es dieses Jahr ungeschoren davon- kommen. Die EU-Staaten brüten noch über einer gemeinsamen Linie gegen Peking. Nötig wäre die: Human Rights Watch klagt über eine «eskalierende» Kampagne gegen die Falun-Gong-Bewegung. Laut deren Recherchen hat Präsident Jiang Zemin die Order ausgegeben, bestimmte Falun-Gong-Aktivisten «ohne Pardon zu töten». Insgesamt seien 1600 Falun-Gong-Anhänger exekutiert worden, 120 000 seien in Gefängnissen oder Lagern. Auch gegen andere Oppositionelle wie die Tibeter geht Peking mit harter Hand vor.

Sonderstatus für Saudis

Genau wie die Saudis. «Systematische Folter, Misshandlung, Fehlen unparteiischer Ermittlungen der Behörden» gehören laut Amnesty zum Alltag der Ölmonarchie. Die Hälfte der Bevölkerung – die Frauen – muss zum Teil härteste Repressalien erdulden. Warum ist das saudische Regime bei der UNO unantastbar? «Die haben einen Sonderstatus als Bewacher der heiligen Stätten des Islams», so ein westlicher Unterhändler resigniert. «Eine Verurteilung käme nie zustande.» Algerien, Libyen, Syrien oder Sudan würden kaum gegen die Saudis votieren.
Etliche Staaten wollen es sich nicht mit dem größten Erdölproduzenten verscherzen. Israel dürfte wegen des Krieges in den besetzten Gebieten angeprangert werden. Arabische Staaten, ist zu hören, bemühen sich, eine «moderate Resolution» vorzulegen. Dann könnten auch Europäer die Frontal-Politik Premier Sharons verurteilen. Denn allein in den letzten 11 Monaten starben über hundert palästinensische und israelische Kinder.

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