Ein weiterer Leserbrief an die FAZ

An den Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Herrn Dr. Günther Nonnenmacher

Sehr geehrter Herr Dr. Nonnenmacher,

am 20. Nov. 2001 hat eine Gruppe von 36 Falun Gong-Praktizierenden aus westlichen Ländern in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Meditationshaltung und mit einem Transparent mit der Aufschrift „Wahrhaftigkeit – Barmherzigkeit – Nachsicht“ friedlich für Falun Gong demonstriert. Zu dieser Gruppe gehörten auch wir. Unter Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen wurden wir alle fast augenblicklich und unter Anwendung von Gewalt in Polizeibussen ohne jegliche Erklärung an einen unbekannten Ort verbracht und nach 24 Stunden ohne die Möglichkeit konsularischer Vertretung des Landes verwiesen. Am Tag vorher hatten zwei deutsche Teilnehmer dieser Aktion ein Gespräch mit Ihrer Korrespondentin, Frau Kolonko, die kaum glauben wollte, dass Falun Gong in China und im Ausland noch immer weit verbreitet ist. Wir fragen uns: journalistisches Desinteresse oder Auswirkung der massiven chinesischen Propaganda gegen Falun Gong?

Dieses offensichtliche Wissensdefizit fiel uns sofort wieder ein, als wir den oben zitierten Artikel lasen. Wichtiges Rüstzeug eines Auslandskorrespondenten ist das Beherrschen der Landessprache, und zwar besonders für die Recherche vor Ort (Frau Weiß kennt das aus eigener Anschauung als Film-Cutterin im ARD-Studio Madrid).
Welcher Informations-Quellen bedient sich Ihre Korrespondentin in Peking? Diese Frage stellt sich massiv nach der Lektüre ihres Artikels zur Selbstverbrennung. Schaut sie nur ins chinesische Fernsehen, oder wenigstens auch in die Berichte ihrer Kollegen vor Ort, wenn sie offenkundig auf eigene Recherche verzichtet? Hat sie sich bei Menschenrechts-Organisationen wie AI, IGFM, Freedom House/USA, Informationszentrum für Demokratie und Menschenrechte in Hongkong, über das erschreckende und im Ausland weitgehend unbekannte Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen an Falun Gong-Praktizierenden in China informiert? Oder ist auch sie der irrationalen und menschenverachtenden Propaganda der Regierung Jiang Zemin aufgesessen?

In ihrem Artikel suggeriert sie zunächst eine persönliche Begegnung mit Opfern der Selbstverbrennung. Später gibt sie in Art von Hofberichterstattung deren Aussagen im chinesischen Fernsehen als Fakten wieder, um dann erst nach 5 (fünf!) weiteren Absätzen zu sagen, es gäbe aber keine unabhängige Bestätigung für die Echtheit dieser Aussagen, und ausländische Journalisten hätten auch jetzt, nach einem Jahr, noch nicht mit einem der „Selbstverbrenner“ sprechen dürfen. Das Muster wiederholt sich. Später werden Falun Gong-Anhänger als Mörder zitiert, dann schreibt sie, die Berichte lassen sich schwer nachprüfen! Das Nachprüfen wäre doch genau Frau Kolonkos journalistische Aufgabe. Ihre Kollegen haben bereits vielfach vorgeführt, wie man das macht. Man kann in den Heimatort eines Opfers fahren und dort Informationen sammeln, man kann in Hongkong Gespräche mit Falun Gong-Praktizierenden führen, wenn das im sonstigen China mit zuviel Gefahr verbunden ist, man kann den Fall einer zu Tode gefolterten Frau und ihrer verfolgten Tochter aufdecken u.ä.m. Und damit kann man sogar einen Pulitzer Preis gewinnen, siehe Ian Johnson vom Wall Street Journal (A Death in China).

Wir möchten Frau Kolonko gern wissen lassen, dass die Analyse in dem von ihr zitierten Videoband (wir erlauben uns, Ihnen eine VCD davon mitzuschicken) ausschließlich aus Aufnahmen des chinesischen Staatsfernsehens besteht und dass es nur eine Mutter mit Tochter bei dieser Aktion gab. Wir möchten sie wissen lassen, daß das chinesische Fernsehen selbst im Nov. 1998 die Zahl der Falun Gong-Anhänger mit ca. 100 Millionen beziffert hat. Wir möchten sie ferner gern wissen lassen, dass Falun Gong keine Sekte ist ( was für Frau Kolonko seinerzeit als Redakteurin in Frankfurt noch Faktum war), daß es auch keinen Sektenführer Li Hongzhi gibt, wie sie als Sprachrohr der chinesischen Propaganda so unreflektiert wiederholt, und daß sich unseres Wissens Li Hongzhi überhaupt nicht zu der Selbstverbrennung geäußert hat (oder hat uns Frau Kolonko in diesem Punkt in ihrer Recherche übertroffen?). Wir möchten Frau Kolonko gern darauf aufmerksam machen, daß sie zunächst berichtet, von Protestaktionen und Flugblättern sei nichts mehr zu hören, dann aber gegen Ende ausführt, es landen noch immer Flugblätter in Briefkästen, und Internetbenutzer erhalten aus unbekannten Quellen Verlautbarungen von Falun Gong.

Viele Male taucht zu Unrecht der Begriff „Sekte“ in Bezug auf Falun Gong auf. Im heutigen Sprachgebrauch beziehen sich die Kriterien wohl eindeutig auf psychische Abhängigkeit, dunkle Geldgeschäfte, gesellschaftliche Isoliertheit. Die Falun Gong-Übungen finden bewusst in Parks und öffentlichen Anlagen statt, sind transparent und für jeden, gleich welchen kulturellen oder nationalen Hintergrundes, frei und immer kostenlos zugänglich. Beiträge, Spenden oder Sachwerte dürfen nicht genommen werden. Man kennt sich untereinander und tauscht bei Interesse die Adressen aus. In einigen Ländern existieren kleine Vereine, um Ansprechpartner für die Presse u.ä. haben, billiger Räume anmieten zu können. Wir sind auch Mitglied im Deutschen Jugendherbergsverband (siehe FAZ vom 27.1.2001 „Der nachsichtige Feind“). Falun Gong eine Sekte zu nennen ist einerseits rufschädigend, andererseits, und das wiegt in unseren Augen wirklich schwer, leitet es Menschen irre und unterstützt die Verfolgungspolitik der chinesischen Regierung. Gerade lesen wir in der FR vom 29.1., dass „Bibelschmuggel“ in China bestraft und die christliche Gruppierung „Die Rufer“ als „christliche Sekte“ und „Teufelskult“ gebrandmarkt wurde.

Sehr geehrter Herr Dr. Nonnenmacher, wir sind vielleicht ein bisschen drastisch, ein bisschen polemisch in unseren Ausführungen geworden. Wir praktizieren selbst seit Jahren Falun Gong, haben seine positiven Auswirkungen an uns wahrgenommen und möchten gerade auch vor diesem Hintergrund unsere Betroffenheit über diesen Artikel und seine mutmaßliche Wirkung zum Ausdruck bringen. Reizworte und sensationshaschende Berichte setzen sich leider in den Köpfen der meisten Menschen schneller fest als solide Fakten. Bitte verhindern Sie in Zukunft, dass solche „Ausrutscher“ in Ihrer weltweit gelesenen und geschätzten Zeitung erscheinen.

Es geht bei dem Thema Falun Gong um die Verantwortung gegenüber Hunderttausenden von Menschen, die von der chinesischen Regierung entgegen den Normen ihrer eigenen Verfassung und gegen völkerrechtliche Konventionen willkürlich schikaniert, umerzogen, brotlos gemacht, ihrer Ausbildungs- und Arbeitsplätze beraubt werden, es geht um grundlose Einweisungen in Nervenheilanstalten, um Zwangsernährung mit hochprozentiger Kochsalzlösung, um Vergewaltigung in Arbeitslagern, um erzwungene Abtreibungen, um unterlassene ärztliche Hilfeleistung mit Todesfolge, um stunden- und tagelange Fesselung in extremsten Körperstellungen, und es geht um schlimmste Folter mit Todesfolge. Geht es nicht auch um die aufrichtige Haltung von Journalisten? Haben sie nicht die absolute Verpflichtung, ihre Leser umfassend, wahrheitsgetreu und keinesfalls irreführend zu unterrichten? Das ist gleichfalls eine Anforderung des Pressecodex.

Leider konnten wir in diesem Brief nur oberflächlich auf verschiedene Aspekte eingehen, andere wichtige Punkte gar nicht erwähnen. Die Falun Gong-Praktizierenden in China werden sich sicherlich weiterhin für die in ihrer Verfassung garantierte freie Ausübung ihres Glaubens einsetzen, und so wird noch manche Nachricht aus China zu diesem Thema kommen. Es ist uns ein aufrichtiges Anliegen, Sie um ein Gespräch bitten, in dem noch bestehende Fragen angesprochen und geklärt werden können, um in Zukunft Fälle wie den vorliegenden zu vermeiden.

In Erwartung Ihrer Antwort verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

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