Heidenheimer Zeitung (Deutschland): CHINA / Falun-Gong-Anhängerin nach zwei Jahren Arbeitslager wieder frei

Hat zwei Jahre Frauenarbeitslager in China hinter sich: Wei Xiong. FOTO: OLIVER SCHULZ

40 000 Postkarten vor allem aus Deutschland haben Wei Xiong vor Elektroschocks bewahrt. Weil sie Flugblätter verteilt hatte, musste die Chinesin für zwei Jahre in ein Arbeitslager – ohne Prozess und ohne Urteil. Seit Januar ist sie frei und seit wenigen Wochen in Deutschland.

Wei Xiong hat eine neue Erfahrung gemacht: "Es sind so viele Leute unschuldig in Arbeitslagern." Vor allem vor Feiertagen nehme in China die Zahl willkürlicher Festnahmen zu. Die 33-Jährige hat Willkür am eigenen Leib erfahren. Am 5. Januar 2002 wurde sie von drei Zivilpolizisten in Peking festgenommen, weil sie Flugblätter der Religionsbewegung Falun Gong verteilt hatte. Sie kam in Untersuchungshaft, danach für einige Wochen in eine so genannte Sammel- und Verteilstelle und schließlich in ein Arbeitslager. Einen Richter oder gar einen Verteidiger hat die junge Frau nie gesehen. Dafür Polizisten, Stehzellen und Verhörzimmer.

"Dir werde ich jeden Finger einzeln brechen." Mit Druck versucht ein Polizeioffizier die junge Frau zur Unterschrift zu bewegen. Sie soll sich schriftlich von Falun Gong distanzieren, einer Bewegung, die in China 70 bis 100 Millionen Anhänger hat. Wei Xiong weigert sich. Selbst Beschimpfungen, Demütigungen, Schläge, Schlafentzug, extrem schmerzhafte "Sportübungen" wie 200 Kniebeugen oder die gleiche Zahl an Liegestützen bringen sie nicht davon ab. Nur Elektroschocks bleiben ihr erspart. "Die Polizisten konnten mich nicht so behandeln wie andere Gefangene." Denn Wei Xiong war nicht namenlos. Die Frau hatte von 1992 bis 1999 an der Technischen Universität Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert und als Anhängerin von Falun Gong viele Kontakte zu Gleichgesinnten aufgebaut.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, viele Falun-Gong-Sympathisanten und auch die Bundesregierung setzten sich mit Postkarten und E-Mails für die Inhaftierte ein. Die schlimmsten Übergriffe blieben ihr dadurch erspart. Nicht aber harte Arbeit.

Die "Umerziehung" Andersdenkender erfolgt in China durch Druck, Dauer-Propaganda und Arbeit. Mindestens 6000 Ess-Stäbchen pro Tag hatte eine Gefangene in der Sammel- und Verteilstelle aus Rohlingen zu fertigen und mit einem Beipackzettel für den Export vorzubereiten. "Ess-Stäbchen sind hygienisch" war darauf zu lesen – eine Aussage, die für Wei Xiong angesichts der unhygienischen Bedingungen unter denen Gefangene arbeiten mussten, wie Hohn klangen. Auch im Frauenarbeitslager in Daxing mussten die bis zu 900 Gefangenen für das Ausland produzieren: "Stricken von vier Minuten nach sechs Uhr morgens bis 21.30 Uhr abends." Massenweise Schals und Pullover entstanden so. Billiger als in den bis zu 1000 Arbeitslagern mit vier bis sechs Millionen Gefangenen lässt sich nicht fertigen. Produziert wird vieles: Spielzeug, Schuhe, Haarprodukte, selbst Melonenkerne werden von Gefangenen aufgebissen, um das Innere verkaufen zu können. Wei Xiong erzählt von Serviettenringen, die vor Jahren bei Eduscho verkauft worden sind. Als man darin einen Zettel mit einem Hilferuf aus einem chinesischen Lager fand, war die Empörung in Deutschland groß. Der Kaffeeröster löste die Beziehung zu dem Lieferanten. Doch Abnehmer für Billigware, die unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wird, gibt es genug.

Am 4. Januar dieses Jahres war für Wei Xiong das Kapitel Gefangenschaft zu Ende. Sie durfte nach Hause zu ihren kranken Eltern in Peking. "Doch auch nach der Freilassung hatte ich keine richtige Freiheit." Das Telefon wurde überwacht und die Straßenverwaltung registrierte genau, wann die junge Frau kam und wann sie ging. Wei Xiong wollte weg. "Irgendwo ein ruhiges Leben führen. " Sie bekam ein Visum für Deutschland und reiste aus. Ob sie zurückgehen wird? Wei Xiong: "Das geht bestimmt nicht."

ELISABETH ZOLL

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