Verborgen konnte es dennoch niemandem bleiben. Polizisten in Zivil versuchten, die ruhig sitzen gebliebenen Demonstranten in die Mannschaftswagen zu bugsieren, was ihnen wie immer nur mit grösster Mühe gelang. Es wurde gestossen und geprügelt, eine Frau wurden an den Haaren gezerrt, und ein paar Meter ausserhalb vertrieben Polizisten die Umstehenden, unter ihnen Hunderte von höchst verwunderten Chinesen. Ein Mann, der seinen Häschern durchs Autofenster entflohen war und laut rufend und ein Transparent schwenkend weg rannte, wurde von der Polizei mit Fusstritten zu Fall und zurück zu den Mannschaftswagen gebracht. Die Szene war so niederschmetternd wie jede Aktion gegen Falun- Gong-Aktivisten; die Tatsache, dass es sich bei den Kundgebungsteilnehmern diesmal ausschliesslich um Ausländer handelte, schien die Ordnungskräfte in ihrem Ingrimm kaum zu stören.
Jüngstes Opfer der kontraproduktiven – und in der KP-Führung höchst umstrittenen – Hatz gegen die Mitglieder einer unpolitischen Meditationsbewegung ist Ju Yajun, ein 33-jähriger Bauer aus der nördlichen Provinz Heilongjiang. Laut Angaben des New Yorker Hauptquartiers von Falun Gong starb Ju am 26. Oktober in einem Spital in Harbin, nachdem es der Polizei nicht mehr gelungen war, ihn weiterhin zwangsweise zu ernähren. Ju war am 11. Oktober vergangenen Jahres verhaftet worden, als er nach Peking fuhr, um die Behörden um Erlaubnis zu bitten, Falun Gong zu praktizieren. Er wurde sofort verhaftet und verschiedentlich geschlagen. Nach drei Monaten kam Ju frei, wurde aber wenig später erneut festgenommen und für ein Jahr in ein Lager geschickt, das darauf spezialisiert ist, Delinquenten «durch Arbeit umzuerziehen». Ju wurde wieder gefoltert, trat in einen Hungerstreik und wurde vom Gefängnispersonal zwangsweise ernährt. Am 18. Oktober schwoll seine Luftröhre derart an, dass der Plastikschlauch, durch den ihm die Nahrung verabreicht wurde, nicht mehr eingeführt werden konnte. Am 21. Oktober fiel er in Ohnmacht und wurde ins Gefängnisspital eingeliefert. Am 24. Oktober übergab man Ju, immer noch bewusstlos, seinen Angehörigen, die ihn umgehend ins Spital brachten, wo er wenige Tage darauf starb.
Laut Angaben von Falun Gong ist damit die Zahl der Falun-Gong-Anhänger, die in chinesischen Gefängnissen oder Straflagern ums Leben gekommen sind, auf mindestens 312 gestiegen. Die Dunkelziffer wird von Falun Gong auf etwa eintausend Fälle geschätzt. Die chinesischen Behörden zeigen sich, was Angaben zu Falun Gong angeht, äusserst reserviert; im Allgemeinen behaupten sie lediglich, die angeblichen Glaubenspraktiken der Bewegung hätten schon Hunderten von Menschen das Leben gekostet. Falun-Gong- Aktivisten bestreiten derartige Unterstellungen energisch. Ziel der Demonstration von Dienstag in Peking war es, die chinesischen Behörden dazu aufzufordern, die zahlreichen verhafteten chinesischen Aktivisten freizulassen, die Glaubens- und Religionsfreiheit sicherzustellen, die freie Praxis von Falun Gong zuzulassen und diejenigen, die für die bisherige Verfolgung verantwortlich sind, zur Rechenschaft zu ziehen. Zwei deutsche Journalisten und ein Kameramann von CNN wurden von der Polizei vorübergehend festgehalten; Bilddokumente wurden konfisziert. Die festgenommenen Falun-Gong-Anhänger wurden laut einem Bericht des chinesischen Rundfunks noch am selben Tag des Landes verwiesen.