Ein Samstag im Zeichen der Kamelie

Es scheint ein gewöhnlicher Samstagvormittag zu werden. Mein kleiner Sohn ist mit seinen Großeltern unterwegs und wir kümmern uns um den Haushalt. Danach fahren wir zum Einkaufen ins Nachbardorf. Der Höhepunkt des samstäglichen Rituals? Eine schöne Tasse Tee in trauter Zweisamkeit und eine florale Liebeserklärung an meine Frau.

Aber noch hält sie den Staubwedel in der Hand und lässt ihn über die obersten Kanten der Büchergestelle gleiten. Als das Telefon klingelt, legt sie ihn auf einem Stuhl ab und nimmt den Anruf entgegen. Dem Gespräch kann ich nur teilweise folgen. „Wer hat uns eingeladen?“, frage ich laut und gleichzeitig nach dem Ausschaltknopf am Staubsauger suchend. „Sandrina und ihr Mann haben uns in die Oper eingeladen.“ Auf meinen fragenden Blick hin ergänzt sie: „La Traviata, am Samstag in zwei Wochen“. „Aha“, bemerke ich und schaue auf die Uhr.

Nur kurze Zeit später befinden wir uns auf dem Weg zum Wochenmarkt. Nachdem die Lebensmittel eingekauft und im Heckraum des Autos verstaut sind, steuert meine Frau auf das Teehaus ihrer Wahl zu. Ich schaue mich wie immer noch schnell bei den Blumen um. Dabei sticht mir dieses Mal eine bis dato unbekannte Jungpflanze ins Auge. Während ich das Etikett lese spricht mich der freundliche Verkäufer an: „Das ist eine Kamelie, ein immergrünes Ziergewächs“. Er gibt mir noch allerlei Erklärungen zu ihrer Pflege und ehe ich mich versehe, habe ich die Kamelie gekauft.

Als ich ins Teehaus eintrete, serviert die Kellnerin gerade den Tee an unserem Platz. „Warum hast du mir dieses grüne Ding da gekauft und keine Rosen?“, fragt mich meine Frau mit dem Finger auf die Kamelie zeigend. Ich lache und setze mich zu ihr an den Tisch. „Die Kamelie ist eben etwas Besonderes“, sage ich geheimnisvoll. „Und“, fahre ich fort, „sie ist sogar mit dem Teestrauch verwandt.“ Noch ehe meine verdutzte Frau darauf etwas erwidern kann, klingelt das Handy. Ob wir auch in den botanischen Garten kommen wollen, werden wir gefragt. Wir versprechen zu kommen, trinken aber zuerst in Ruhe unseren Tee. Als wir eintreffen, höre ich von Weitem: „Papa! Papa!“ Ich hebe meinen Sohn hoch. Während ich ihn noch im Kreis drehe, kommen die Eltern meiner Frau lachend näher. Wir begrüssen uns und sie berichten, dass unser kleiner Spross uns unbedingt etwas zeigen will. „Also gut“, sagt seine Mutter, „wir folgen dir.“ Wir betreten ein Gewächshaus und unser Junge fragt: „Warum haben die schönen Pflanzen hier ein eigenes Haus?“ „Weil dort, wo sie ursprünglich herkommen, ein milderes und feuchteres Klima herrscht als bei uns.“ „Großmama sagt, die Pflanzen kommen aus China“, fährt er fort. „Ja, das stimmt.“ antworte ich, „Sie stammen oft aus Yunnan, einer Provinz im Südwesten. Dort wird der Kamelienbaum von den Einheimischen schon seit ewigen Zeiten verehrt und beschützt. Die Menschen schenken die schönsten Blüten den Natur-Gottheiten und im Tempel dem Buddha.“ „Wie sind sie dann zu uns gekommen?“, fragt er weiter. „Mit den Schiffen der Engländer“, antwortet Grossvaters Stimme hinter uns. Wir drehen uns um und mit einem: „Deinem alten Großvater knurrt der Magen!“ wird unser Gespräch freundlich aber bestimmt beendet. Wir lachen, denn mit Großvaters Hunger ist nicht zu spaßen.

Zu Hause setzt Großmutter als erstes Nudelwasser auf. Wir Männer schneiden das Gemüse klein und decken den Tisch. Zeitgleich mit dem Absetzen des letzten Glases stellt sie auch schon die große Schüssel mit dem dampfenden Nudelgericht auf den Tisch. Während die Familie beim Essen fröhlich schwatzt, schaue ich andächtig aus unserem Küchenfenster in den Garten hinaus. „Wo willst du deine Kamelie denn einpflanzen?“, werde ich von meiner Angetrauten gefragt. „An einer geschützten Stelle nahe der Holzwand“, schlage ich in aufgeräumter Stimmung vor. „Denn sie blüht ja während der kühlen Jahreszeit. Mit ihren roten Blütenköpfchen wird sie wahrlich die Zierde unseres Gartens sein!“

Quellen für diesen Bericht:

Ich bedanke mich bei den Autoren der spannenden Studie zur traditionell-kulturellen Bedeutung der Camellia reticulata in Yunnan: Tong Xin, Jan de Reik, Huijun Guo, Devra Jarvis, Lijuan Ma und Chunlin Long. Publiziert beim Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 2015. Der Bericht kann hier gelesen werden: Mein Dank gilt auch Herrn Andreas Bartels, der das „grosse Buch der Kamelien“ verfasst hat. Erschienen im Ulmer Verlag 2003. Bilder: Pixabay

Wenn Sie einmal einen Kameliengarten besuchen möchten, finden Sie Adressen dazu auf: https://internationalcamellia.org/locarno-city-camellia-park

Bedeutung der Farbe Rot im traditionellen China: Freude, Glück, Schutz vor bösen Geistern.

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