Spiegel Online: Das tödliche Geschäft mit dem Blut

Berlin – Eigentlich war Gao Yaoje auf der Suche nach Quacksalbern. Die Gynäkologin forschte 1996 über Geschlechtskrankheiten und obskure Heilmethoden, als sie in einem Krankenhaus in der Provinz Henan das erste Mal in ihrem Leben auf eine Frau mit Aids traf. Nach der Blutuntersuchung schwante ihr Böses: „Das infizierte Blut kam von einer Blutbank“, so Gao, „das konnte nur die Spitze des Eisberges sein.“ Seitdem versucht sie die Aufmerksamkeit des Landes auf die Aids-Epidemie zu lenken – gegen massive Widerstände offizieller Behörden.

Dass China nach wie vor ein Problem mit seiner Menschenrechtspolitik hat, hatte nicht zuletzt auch Bundespräsident Johannes Rau auf seiner jüngsten Reise moniert. Vor wenigen Tagen erst hatte er an der Universität in Nanking zu Reformen für mehr Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Demokratie aufgerufen.

Davon ist China noch weit entfernt. Nach wie vor rücken die Behörden zögerlich mit Informationen über Skandale heraus, wie sich am kürzlich veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ablesen läßt. Er stützt die Befürchtungen der chinesischen Ärztin Gao. Der Blutspende-Skandal, so das Fazit der Organisation, hat größere Ausmaße als bislang angenommen. Nicht nur die Provinz Henan war betroffen, sondern weitere sechs Provinzen. Insgesamt leben in den betroffenen Regionen 420 Millionen Menschen. Zwar hat China kürzlich offiziell die Ausweitung des Skandals eingestanden, als der Antrag an den „Global Fund“ eingereicht wurde – einem internationalen Zusammenschluss zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
Doch die Aufklärung des Skandals gestaltet sich nach wie vor schwierig, denn gleich mehrere offizielle Stellen sind darin verwickelt: Die Gesundheitsbehörden der Provinzen, Hersteller von Blutprodukten, sogar Armee-Einheiten sollen mitverdient haben. Anfang der neunziger Jahre waren Spendensammler über die Dörfer gezogen und hatten ganze Bauerndörfer gegen Bezahlung zum Blutspenden animiert. Bei einer Sammelstelle, so wird berichtet, soll an der Wand der Spruch „Blutspenden ist ruhmreich“ gestanden haben. Die Spende wurde Teil der lokalen Propaganda.

Dem Blut wurde das lukrative Plasma entzogen, in Containern gemischt und den Bauern erneut injiziert. Ihnen wurde erzählt, man wolle ihnen ihre „Lebensgeister“ zurückgeben. So konnten die Bauern öfter spenden, laut Human Rights Watch oft mehrere Tage in Folge. Einige der Bauern waren zunehmend auf die Einnahmen aus dem Blutgeschäft angewiesen. Als Ende der neunziger Jahre einige der offiziellen Blutbanken geschlossen wurde, verkauften sie ihr Blut an illegale Blutsammler.

Bis zu einer Million Infizierte?

Wer sich angesteckt hat, wird in der Regel alleine gelassen. Es gibt kaum medizinische Hilfe – eine Ausnahme ist das Dorf Wenlou, bekannt geworden als „Aids-Dorf“, wo eine kostenlose Klinik aufgebaut wurde. In dem chinesischen Antrag an den „Global Fund“ wird zugegeben, dass sich im Zuge des Skandals etwa 250.000 Menschen infiziert haben können. Andere Schätzungen sprechen von mindestens einer Million.

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